An einem Maitag 2019 betrat Frau Hülsmann mit einer Kerzenschachtel in der Hand mein Atelier. Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, was mich erwarten würde.
„Ich habe hier die Taufkerze meines Sohnes Andreas. Nun ist er selbst Vater einer kleinen Tochter, die demnächst getauft werden soll. Ist es möglich, die Kerze meines Sohnes auch zur Taufkerze meiner Enkeltochter zu machen?“
Sie nahm den Deckel von der Kerzenschachtel. „Mein Sohn wurde 1981 getauft. Die Kerze ist also schon über dreißig Jahre alt.“
Bis auf die Tatsache, dass die Verzierungen der Kerze in die Jahre gekommen waren, war sie in einem sehr guten Zustand. Wie damals üblich, war die Kerze cremefarbig, 415 mm lang und hatte einen Durchmesser von 30 mm. Ganz vorsichtig und fast schon mit Ehrfurcht nahm ich die Kerze aus der Schachtel, um sie näher zu begutachten. Wie man auf dem Bild sehr schön sehen kann, waren die Buchstaben nicht mehr ganz an ihrem Platz, die Goldstreifen waren matt und das hellblaue Weihwasser verrutscht.
„Ja, die kann man wieder aufhübschen. Die Taube habe ich in dieser Form nicht, aber vielleicht kann ich sie auch erhalten. Ich schlage vor, alles andere vorsichtig abzunehmen und zu erneuern.
Ich reinige die Kerze und dann sieht sie wieder schön aus, nicht ganz wie neu. Ich versuche auch mal, die Taube wieder aufzuhübschen.“
„Das hört sich gut an. Kann ich die Kerze auch beschriften lassen? Damals war das nicht üblich.“ – „Ja, das geht auf jeden Fall. Was soll denn drauf stehen?“ Frau Hülsmann überlegte einen Augenblick. „Es wäre schön, wenn man sehen kann, dass es die Taufkerze von meinem Sohn ist.
Dann müsste ‚Andreas‘ draufstehen und das Taufdatum ‚19.4.1981‘.
Und die kleine Leni muss dann auch noch mit drauf. Geht das?“
„Ja, das geht. Wir können über das Bild den Andreas mit Datum setzen und unter das Bild die Leni mit ihrem Taufdatum. Wer oben steht, brennt zwar als erster ab. Aber der Papa gibt nun die Kerze an die Tochter weiter und daher sollte sie unten stehen, damit sie noch länger etwas von der Kerze hat.“ „Das ist ein guter Vorschlag“, meinte Frau Hülsmann.
„Gut. Dann machen wir das so. Welche Farbe sollen wir denn für die Beschriftung nehmen? Gold passt oder hellblau ginge auch.“ Frau Hülsmann entschied sich für goldene Buchstaben und Zahlen.
Zum Glück war die Taufe erst im Juli und ich hatte Zeit für meine Arbeit. Das liebe ich sehr, wenn ich mir für solche Arbeiten Zeit nehmen kann. Schließlich haben solche Kerzen einen hohen individuellen Wert und sind nicht einfach zu ersetzen.
Ich setzte mich also daran und nahm mit meinem Holzstäbchen vorsichtig die vorhandene Verzierung ab. An manchen Stellen ging es leichter, an anderen war es schwieriger. Aufgrund des Alters der Ker-zen blieben Vertiefungen auf der Kerze zurück. Das war in diesem Fall aber nicht weiter schlimm, da die neue Verzierung exakt der alten entsprechen sollte.
Nach getaner Arbeit sah die Kerze so aus, wie auf diesem Bild:
Als Frau Hülsmann die Kerze abholte, war sie vom Glanz und von der Schönheit ihrer Kerze ganz angetan. Und ich hatte ein gutes Gefühl bei der ganzen Sache.
